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„Der Traum vom Fliegen – Ernst Heinkel“ 2007, 43 Min., Autor, Regie, NDR
Guernica 1937. Am Nachmittag des 26. April erscheint ein Bomber am Himmel, steuert die kleine Stadt an und lässt seine tödliche Fracht fallen. Es ist eine „He 111“, ein Flieger aus den Heinkel-Werken. Gebaut in Rostock. Das Flugzeug bildete den Auftakt zur systematischen Bombardierung der Stadt durch ein ganzes Bombergeschwader. Hunderte Menschen starben. Doch der Tod kam nicht nur mit den Bomben, sondern auch aus den Maschinengewehren der Scharfschützen in kleineren Jagdflugzeugen namens „He 51 „, ebenfalls entworfen, getestet und gebaut in Rostock.
In der Stadt an der Ostsee hatte sich 1922 der Flugzeugentwickler Ernst Heinkel angesiedelt und eine der repräsentativen Erfolgsgeschichten des Dritten Reichs geschrieben. Hier startete er mit 15 Mitarbeitern, beschäftigte während des Krieges ca. 15.000 Menschen in seinem Stammwerk und bis zu 50.000 europaweit. Seine Flugzeuge bildeten einen bedeutenden Teil dessen, was als Luftwaffe die Welt in Angst und Schrecken versetzte. 1939, beim Überfall auf Polen, bestanden zwei Drittel der deutschen Kampfverbände aus Bombern der Firma Heinkel. Ernst Heinkel selbst war einer der angesehensten Industriellen des Landes. Ein Foto aus dem Jahr 1938 zeigt ihn, hoch dekoriert mit dem Nationalpreis für Kunst und Wissenschaft, zusammen mit Josef Goebbels und Fritz Todt.
Wer aber war der Mann hinter dem Flugzeug-Imperium? Frühe Selbstäußerungen erzählen die Geschichte eines Enthusiasten, der sich schon in jungen Jahren derart für die Fliegerei begeisterte, dass er sogar nach dem Absturz mit einem selbstgebauten Flugapparat, den er schwer verletzt nur knapp überlebte, nicht vom Traum des Fliegens abließ. „Ich musste Aviatiker werden“, schreibt er in seiner Autobiografie. „Ich musste ein eigenes Flugzeug bauen. Zum ersten Mal spürte ich in mir die später mein ganzes Leben beherrschende brennende, durch nichts zurück zu haltende Lust nach dem Neuen…“
Inhaltlich konzentriert sich der Film auf drei Ebenen.
Zum einen wird die Biografie Heinkels erzählt. Dabei wird der Film die Geschichte chronologisch, von der Geburt im Jahre 1888 bis zu seinem Tod 1958, erzählen. Ernst Heinkel wird sowohl als Mensch, als auch als Konstrukteur und Unternehmer und ebenso als soziale und gesellschaftliche Persönlichkeit vorgestellt. Das ganze nicht isoliert, im luftleeren Raum, sondern verbunden mit den relevanten historischen und gesellschaftlichen Entwicklungen. Als Heinkel 1888 geboren wurde, unternahm Lilienthal seine ersten Gleitversuche. Der Traum vom Fliegen erfasste auch Ernst Heinkel. So wuchs der spätere Ingenieur mit der im Entstehen begriffenen neuen Technologie in eine neue Industrieelite hinein. Sein Charakter, ehrgeizig, eitel und durchsetzungsfähig, seine einfache Herkunft, der fehlende Studienabschluß, die kleine Statur, seine Auffassungsgabe, sein Gespür fürs Geschäft, für fähige Menschen, seine technische Intuition und sein nicht alltäglicher Lebensstil lassen ihn zu einer schillernden Persönlichkeit in seiner Zeit werden. Bereits während des Ersten Weltkriegs arbeitete er als Chefkonstrukteur der Brandenburgischen Flugzeugwerke Der Schwerpunkt des Films wird jedoch auf seiner Zeit in Rostock/Warnemünde, von 1922 bis 1945, liegen. Hier entwickelte sich der Konstrukteur zum Manager und Organisator. Hier scharrte er fähige Köpfe um sich, so dass aus den Ernst Heinkel Flugzeugwerken Flugzeuge und technische Neuheiten hervorgehen konnten, die Weltspitze waren und noch heute zu den Meilensteinen der Luftfahrt gehören. Diese werden im Film vorgestellt, doch gleichzeitig wird der Zuschauer erfahren, zu welchem Preis dies geschah. Denn Heinkels Beziehungen zum Militär und später zum NS-System waren immer äußerst eng. So hatte nicht nur ein Großteil seiner Flugzeuge den Zweck, möglichst effektiv Menschen und Städte zu vernichten, sondern selbst die Produktion dieser Flugzeuge kostete schon Menschenleben, nämlich das von KZ-Häftlingen. Deshalb wird im Film der Problematik Technik und Verantwortung eine große Bedeutung beigemessen. Er zeigt auf, welche Handlungsmöglichkeiten Heinkel hatte, wie er damit umgegangen ist (auch im Vergleich zu anderen Unternehmern) und wie er das reflektiert hat. Dieser letzte Punkt steht im engen Zusammenhang mit dem abschließenden Schwerpunktkomplex des Filmes, der Entnazifizierung. Ernst Heinkel wird von der Anklage der Nutznießerhaft freigesprochen und als einfacher Mitläufer eingruppiert. Dies lässt sich nur aus den gesellschaftlichen Gegebenheiten, sprich Wiederaufbau und Beginn des kalten Krieges, erklären.
Formal nutzt der Film drei Ebenen.
Umfangreiches, zum Teil wenig bekanntes Archivmaterial wird zu sehen sein.
Zeitzeugen, deutsche Mitarbeiter und ausländische KZ-Häftlinge werden zu Wort kommen und ihren sehr unterschiedlichen Standpunkt zu Ernst Heinkel als Person, sowie zur Arbeit bei bzw. mit ihm, darlegen. Ein Familienmitglied und der Heinkel-Biograf werden die Persönlickeitsstruktur und den Menschen Ernst Heinkel aufleben lassen. Sie werden auch die Faszination, die von den damaligen High-Tech-Entwicklungen ausgeht, anpreisen, während der Historiker die Stellung und Bedeutung Heinkels und seiner Betriebe für das NS-Regime und den Krieg beleuchtet. Er wird verdeutlichen, warum Heinkels Rolle so wichtig war, wie Heinkel sich in das jeweilige System integrierte, es nutzte, seine Vorteile daraus zog, sich aber hinterher von jeglicher persönlicher Verantwortung freisprach.
Auch Ernst Heinkel wird, anhand von Selbstäußerungen in der Autobiografie sowie öffentlichen Reden und Ansprachen, selbst zu Wort kommen.
Die zweite inhaltliche Ebene dient, exemplarisch für Heinkels Schaffen, der Vorstellung einer He 162. Diese letzte Flugzeugentwicklung des 2.Weltkrieges, der sogenannte „Volksjäger“ steht einerseits für absolute Hochtechnologie, anderseits sind Bau und Entwicklung beispielhaft für die schwärzesten Seiten dieser Zeit. Heinkels bedeutendsten technischen Errungenschaften (konsequente aerodynamisches Gestaltung, einziehbares Fahrwerk, Düse, Schleudersitz, entworfen und gebaut im „Heinkeltempo“), die beim ihm europa- bzw. weltweit als erstes entwickelt und/oder angewandt wurden, sind in diesem Flugzeug zu finden.
In der dritten inhaltlichen Ebene begibt sich der Film auf Spurensuche. Was erinnert heute noch an Ernst Heinkel? Was blieb von seinem Stammwerk in Rostock? Die großen Produktionshallen und Flugplätze wurden zerbombt und demontiert, weitgehend aus dem Stadtbild getilgt, Heinkels Villa ist seit Jahrzehnten Sitz eines Instituts. Eine einzelne Backsteinmauer, die so genannte Heinkel-Mauer, zeugt als einsames Monument von der Anwesenheit großer Fabriken der Flugzeugindustrie. Mit Hilfe von Animationen werden die damaligen Anlagen in das Stadtbild montiert.
Was also ist aus dem Traum vom Fliegen geworden? Er ist in eine Realität abgestürzt, zu der Krieg und Vernichtung ebenso gehören wie die Routine von Linienflügen oder die Normalität einstmals genialer Erfindungen. Was treibt den Menschen? Welche Verantwortung hat jeder für sein Tun? Verhilft die Leistung oder der Charakter einem Menschen zur Unsterblichkeit? Aufstieg und Fall Ernst Heinkels sind nicht die ganze Geschichte. Aber sie erzählen einen Teil davon.